Donnerstag, 8. März 2018

Die Mär von den Investitionen im NKF

Wenn Kommunalpolitiker geplante Investitionsmaßnahmen verargumentieren, bekommt man immer wieder Aussagen zu hören, wie z.B:
  • Mit Investitionen erhalten bzw. erhöhen wir das Gemeindevermögen.
  • Mit Investitionen sichern wir unsere Zukunft.
  • Mit Investitionen halten wir die öffentliche Infrastruktur in Ordnung.
  • Eine Grundsanierung verursacht weniger Kosten als Flickschusterei.
  • Ausgaben im investiven Bereich sind nicht ergebniswirksam.
  • Erst nach der Umsetzung der Investitionsmaßnahme schlagen Abschreibungen und Zinsen zu Buche.
  • Es wird wohl keine besseren Rahmenbedingungen auf dem Kapitalmarkt geben als zurzeit.
Wenn Du nach konkreten, belastbaren Zahlen fragst, wird die Luft allerdings schnell dünn.

Also schauen wir uns das Ganze doch mal an einem Investitionsbeispiel an.

Zur Einstimmung widmen wir uns zunächst dem Drei-Komponenten-System des NKF, dem "Neuen Kommunalen Finanzmanagement" für NRW-Kommunen. Na ja, neu ist es schon lange nicht mehr.

In der Finanzrechnung werden alle Ein- und Auszahlungen (Fokus: Zeitpunkt der Zahlungen) und in der Ergebnisrechnung alle Erträge und Aufwendungen (Fokus: Zeitpunkt der Entstehung des Ressourcenverbrauchs) erfasst.
Die Bilanz ist wichtiger Teil des Jahresabschlusses und verkörpert stichtagsbezogen (31.12.) das Vermögen (Mittelverwendung) und dessen Finanzierung (Mittelherkunft) durch Eigenkapital bzw. Fremdkapital. Nachfolgend ein sehr grobe Darstellung des Drei-Komponenten-Systems des NKF.

Drei-Komponenten-System des NKF

Wichtig zu wissen und zu merken:
  • Das Finanzmittelsaldo der Finanzrechnung wird auf die Aktivseite der Bilanz geschrieben.
  • Das Ergebnissaldo der Ergebnisrechnung wird auf die Passivseite der Bilanz geschrieben.
  • Die Aktivseite der Bilanz gibt Auskunft über die Mittelverwendung.
  • Die Passivseite der Bilanz gibt Auskunft über die Mittelherkunft (Eigenkapital, Fremdkapital).
Anmerkung am Rande:
Die nachfolgende Grafik aus der NKF-Handreichnung des NRW-Innenministeriums gibt einen Überblick über die Bestandteile des kommunalen Haushaltsplans: Ergebnisplan, Finanzplan und produktorientierte Teilpläne sowie die Anlagen.



Nur, wo ist die Bilanz?
Die Bilanz ist nicht Teil des Haushaltsplan, sondern des (oftmals sehr verspäteten) Jahresabschlusses. Warum gibt es im Haushaltsplan bzw. Haushaltsplanentwurf nicht auch eine "Planbilanz"? Das wäre vielleicht für die Kommunalpolitiker/ Ratsmitglieder, aber auch für die Allgemeinheit sehr hilfreich, gibt die Bilanz doch ein guten Überblick über den Vermögensstand der Kommune.


Ok, machen wir weiter. Schauen wir uns nun das Eigenkapital in der Bilanz einmal genauer an.

Hier erfolgt u.a. die Unterteilung in "Allgemeine Rücklage" und "Jahresergebnis". Das Ergebnissaldo der Ergebnisrechnung wird also genau genommen in das Feld "Jahresergebnis" auf der Passivseite der Bilanz geschrieben.

Ist denn die "Allgemeine Rücklage" Geld, das die Kommune "auf der hohen Kante" liegen hat und auf das es zugreifen kann? Der Begriff "Rücklage" suggeriert es und viele Kommunalpolitiker glauben es.

Ein klares Nein. Die "Allgemeine Rücklage" ist ein fiktiver Wert.

Bei der Erstellung der Eröffnungsbilanz mussten die Kommunen seinerzeit ihr Vermögen (Aktiva = Mittelverwendung) wie z.B. Straßen, Brücken, Gebäude in Geld bewerten. Die Kommunen mussten zudem das Fremdkapital (Passiva = Mittelherkunft) angeben, das zur Finanzierung des Vermögens z.B. durch Kredite aufgenommen wurde.

Grob vereinfacht greift für die Bildung der allgemeinen Rücklage folgende bestechende Logik: Wenn das Vermögen der Kommune X Euro wert ist und davon Y Euro der Bank gehören (Fremdkapital), dann ist logischerweise X-Y Euro die Höhe des Eigenkapitals, z.B.
Bewertetes Vermögen:100 Mio. €
./. Fremdkapital:40 Mio. €
= Allgemeine Rücklage:60 Mio. €

Die Sache hat nur ein kleinen Haken, oder glaubst Du, dass eine Kommune eine Brücke oder ein Schulgebäude überhaupt veräußern kann, geschweige denn zu dem ermittelten (Rest)Wert?
Die Kommunen durften aber so tun als ob: Sie durften Gegenstände mit zum Vermögen zählen, obwohl der Gegenstand nicht veräußerbar ist. Es reichte die reine Möglichkeit der Einzelveräußerung aus, selbst wenn ein gesetzliches oder vertragliches Veräußerungsverbot der selbständigen Verwertbarkeit des Gegenstands entgegensteht.
So kam es, dass auch diejenigen Teile des Infrastrukturvermögens, für die kein Markt besteht und die in der Praxis nicht veräußerbar sind (wie z.B. Straßen) mit zum Vermögen gezählt werden konnten.

Wie gesagt, die allgemeine Rücklage ist keine Rücklage in Geld, auf das die Kommunen zugreifen können. Es ist ein künstliches Konstrukt, das vielen Kommunen vermeintlich den Allerwertesten rettet - Stichwort "Minderung der allgemeinen Rücklage zur Sicherung eines ausgeglichenen Haushalts", siehe nachfolgend.

Schauen wir uns nun einmal an einem Beispiel an, was mit dem Vermögen passiert, wenn die jährliche Bilanz (hier: 31.12.17) erstellt wird. Der Einfachheit halber treffen wir folgende Annahmen:
  1. Die Kommune hatte zum Stichtag 31.12.16 ein schuldenfreies Sachvermögen (Brücken, Straßen, Gebäude) i.H.v. 10 Mio. €.
  2. Die Kommune nutzt das Sachvermögen 50 Jahre.
  3. Die jährliche Abschreibung beträgt 200 Tsd. €.
  4. Die Ein-/ Auszahlungen sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).
  5. Die anderen Erträge/ Aufwendungen aus laufender Verwaltungstätigkeit sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).
  6. Es gibt keine Investitionen im Jahr 2017.

Wie sich zeigt, ist die bilanzielle Abschreibung ergebniswirksam und führt zu einem Fehlbetrag im Jahresergebnis i.H.v. -200 Tsd. €. Die Bilanzsumme hat sich aufgrund der Abschreibung auf 9,8 Mio. € reduziert.

Gemäß § 75 Abs. 2 Gemeindeordnung (GO) NRW wäre der Haushalt unserer Beispielkommune nicht ausgeglichen, da die Aufwendungen die Erträge übersteigen.

Weil die Ausgleichsrücklage aufgebraucht ist (0) (wir gehen hier nicht weiter darauf ein, da mittlerweile sehr viele Kommunen ihre Ausgleichsrücklage aufgebraucht haben), wird unsere Beispielkommune bei der Aufstellung der Haushaltssatzung die Verringerung der allgemeinen Rücklage um 200 Tsd. € vorsehen, um einen ausgeglichen Haushalt zu erhalten.

Schauen wir uns nun das Jahr 2018 an. Unsere Beispielkommune möchte 1 Mio. € in die energetische Sanierung eines Schulgebäudeteils investieren. Auch hier wollen wir der Einfachheit halber folgende Annahmen zugrunde legen:
  1. Die Investitionsmaßnahme beginnt am 01.01.18 und ist am 31.12.18 abgeschlossen.
  2. Die Nutzung beginnt also am 01.01.19.
  3. Es gibt keine Fördermittel oder sonstigen Zuwendungen.
  4. Die Kommune hat keine eigenen Mittel und muss 1 Mio. € durch Aufnahme eines Kredites finanzieren.
  5. Der Zinssatz beträgt 0,1%.
  6. Die Kommune will den Kredit mit 12 Tsd. € pro Jahr tilgen.
  7. Die Nutzungsdauer beträgt 40 Jahre (entspricht einer jährlichen Abschreibung i.H.v. 25 Tsd. €).
  8. Für den Erhaltungsaufwand und den Betrieb des energetisch sanierten Gebäudeteils werden 2 Tsd. € pro Jahr veranschlagt.
  9. Die anderen Ein-/ Auszahlungen (Finanzhaushalt) sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).
  10. Die anderen Erträge/ Aufwendungen aus laufender Verwaltungstätigkeit (Ergebnishaushalt) sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).


Schauen wir uns zunächst die Finanzrechnung an:
  • Es wurde ein Darlehen i.H.v. 1 Mio. € aufgenommen, es erfolgte also eine Einzahlung.
  • Die Investitionsmaßnahme wurde umgesetzt, es wurden also 1 Mio. € ausgezahlt.
  • Da der Kredit am 01.01.18 aufgenommen wurde, fallen bereits für 2018 Zinsen und Tilgung an.
  • Da die Beispielkommune zum 31.12.17 keine liquiden Mittel hatte und auch in 2018 keine weiteren Einzahlungen erfolgten, schließt die Finanzrechnung mit einem Fehlbetrag i.H.v. -13 Tsd. € ab.
Schauen wir uns jetzt die Ergebnisrechnung an:
  • Die bilanziellen Abschreibungen sind im Vergleich zur Bilanz 31.12.17 gleich geblieben. Das ist richtig so, weil die Nutzung der 2018er Investition erst ab 01.01.19 beginnt.
  • Als ergebniswirksame Aufwendungen sind die Zinsen für den aufgenommenen Kredit hinzugekommen.
  • Die Ergebnisrechnung schließt mit einem Fehlbetrag i.H.v. -201 Tsd. € ab.
Die Bilanz zeigt, dass sich durch die energetische Sanierung das Gemeindevermögen von 9,8 auf 10.6 Mio. € erhöht hat (abzgl. 200 Tsd. € Abschreibung des "alten" Sachvermögens). Gleichzeitig ist die allgemeine Rücklage gem. Haushaltssatzung 2017 gesunken und wird auch weiter sinken, weil unsere Beispielkommune auch hier bei der Aufstellung der Haushaltssatzung die Verringerung der allgemeinen Rücklage um 201 Tsd. € vorsehen wird, um weiterhin einen ausgeglichen Haushalt zu erhalten.

Dass unsere Beispielkommune für einen ausgeglichenen Haushalt die allgemeine Rücklage verringern muss, mag unseren Annahmen geschuldet sein.
Die Wahrheit ist aber eher, dass viele Kommunen in NRW seit Jahren einen Haushaltsausgleich nur durch einen "Griff" in die fiktive, allgemeine Rücklage erreichen können, weil die Aufwendungen die Erträge Jahr für Jahr übersteigen.

Und hier liegt u.a. ein wesentliches Problem des NKF.

Ob eine Kommune einen ausgeglichen Haushalt hat, wird eben nur an Hand des Ergebnishaushalts entschieden. Und solange eine Kommune noch in der Lage ist, Fehlbeträge aus dem Ergebnishaushalt durch die Verringerung der fiktiven, allgemeinen Rücklage auszugleichen, ist alles schick.

Es sind zwar immer wieder hehre Ziele wie "Strukturell ausgeglichener Haushalt bis 2020" oder "Haushaltskonsolidierung bis 2020" zu hören, aber viel passiert ist nicht, ist doch das "Polster" der allgemeinen Rücklage in vielen Kommunen noch recht beruhigend. Und "Kirchtumpolitik" trägt das Übrige dazu bei.

Es wird sich nur darauf konzentriert, dass der Fehlbetrag im Ergebnishaushalt nicht gewisse gesetzlich vorgegebene Grenzen übersteigt (siehe § 76 Gemeindeordnung (GO) NRW). Sonst müsste die Kommune nämlich in die Haushaltssicherung. Und das meidet eine Kommune i.d.R. wie der Teufel das Weihwasser. Was wiederum dazu führt, dass Kommunen ihre Vermögengegenstände nicht pfleglich und wirtschaftlich verwalten (s. § 90 Abs. 2 Satz 1 GO NRW).

Mittlerweile ist die Infrastruktur in vielen Kommunen so heruntergekommen, dass immense Aufwendungen im Ergebnishaushalt für die Instandsetzung ( = KEINE Investitionen) erforderlich wären. Diese Aufwendungen würden aber den Ergebnishaushalt derart belasten, dass jegliche Grenzen zur Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzepts gerissen werden würden.

Bei der ganzen Fokussierung auf den Ergebnishaushalt wird ein entscheidender Aspekt völlig übersehen.

Unserer Beispielkommune fehlen am 31.12.18 bereits 13 Tsd. € in der Kasse. Und das liegt mitnichten an der "Konstruktion" unseres Investitionsbeispiels. Es liegt vielmehr daran, dass viele Kommunen in NRW schlichtweg kein Geld mehr haben und sich das Defizit an liquiden Mitteln immer weiter aufschaukelt, wie ein Blick auf das Jahr 2019 unserer Beispielkommune gleich zeigen wird.

Auch für 2019 wollen wir der Einfachheit halber folgende Annahmen treffen:
  1. Es werden in 2019 keine weiteren Darlehen für Investitionen aufgenommen.
  2. In 2019 stehen keine weiteren Investitionsmaßnahmen zur Umsetzung an.
  3. Die energetische Sanierung des Gebäudeteils erfolgte bis zum 31.12.18. Der Gebäudeteil kann ab 01.01.19 genutzt werden. Damit beginnen die Abschreibungen und es entstehen nun Aufwendungen für die Erhaltung und den Betrieb des energetisch sanierten Gebäudeteils.
  4. Die anderen Ein-/ Auszahlungen (Finanzhaushalt) sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).
  5. Die anderen Erträge/ Aufwendungen aus laufender Verwaltungstätigkeit (Ergebnishaushalt) sind ausgeglichen (gehen auf 0 auf).

Die Finanzrechnung zeigt, dass unsere Beispielkommune mit einem Anfangsbestand von - 13 Tsd. € ins Jahr startet. Durch Zins- und Tilgungszahlungen erhöht sich das Defizit an liquiden Mitteln auf rd. -26 Tsd. €.

Natürlich kann keine Kommune einen solchen Fehlbetrag stehen lassen, weil ja die Auszahlungen erfolgen müssen. Also wird unsere Beispielkommune - wie viele andere Kommunen in NRW - zur Sicherung ihrer Liquidität einen Kassenkredit (in etwa der Dispo im Privathaushalt) aufnehmen.

Um einmal ein Beispiel zu nennen: die Gemeinde Wachtberg (rd. 20.000 Einwohner) beabsichtigt, den Höchstbetrag für Kassenkredite in der Haushaltssatzung 2018 auf 25 Mio. € festzusetzen!

In der Ergebnisrechnung kommen neben den bilanziellen Abschreibungen (225 Tsd. €) und den Zinsen (988 €) nun noch die Aufwendungen für die Erhaltung und den Betrieb des energetisch sanierten Gebäudes i.H.v. 2 Tsd. € dazu.

Apropos "Aufwendungen für die Erhaltung und den Betrieb": Obwohl hier § 14 "Investitionen" der Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) NRW klare Vorgaben macht, werden in vielen Kommunen in NRW die Folgekosten gerne gänzlich unter den Tisch gekehrt.
Ein klarer Gesetzesverstoß, denn viele Ermächtigungen für Baumaßnahmen dürften gar nicht im Finanzplan veranschlagt werden, weil die für die Dauer der Nutzung entstehenden jährlichen Haushaltsbelastungen nicht ausgewiesen werden!

Bedingt durch die Abschreibungen verringert sich die Bilanzsumme von rd. 10,6 Mio. € (31.12.18) auf rd. 10,3 Mio. €.
Die allgemeine Rücklage verringerte sich per Haushaltssatzungsbeschluss auf 9,6 Mio. €. Und auch in 2019 wird unsere Beispielkommune eine weitere Verringerung der allgemeinen Rücklage vorsehen, um einen ausgeglichenen Ergebnishaushalt zu erreichen (siehe oben).

Was lässt sich zusammenfassend feststellen?

Ja, Investitionen erhöhen bzw. erhalten das Gemeindevermögen, aber auf der anderen Seite belasten weitere Abschreibungen, Zinsen und Aufwendungen für den Erhalt und den Betrieb den Ergebnishaushalt.

Da die Kassen vieler Kommunen "staubtrocken" sind, können Investitionen nur noch mittels Fremdkapital umgesetzt werden. Der Schuldendienst (Zins- und Tilgungszahlungen) ist nur noch durch immer höhere Kassenkredite möglich. Und die Kassenkredite sind schon alleine deswegen so hoch, weil die Auszahlungen die Einzahlungen aus laufender Verwaltungstätigkeit Jahr für Jahr übersteigen.

Und wer bitte tilgt die immensen Kassenkredite? Ist das die "sichere Zukunft" und die viel gepriesene "intergenerative Gerechtigkeit"?

1 Kommentar:

  1. Ein super Artikel, der es auf den Punkt bringt. Es wäre zu wünschen, dass jeder in der Kommunalpolitik Tätige soviel Sachverstand aufbringt.

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