Sonntag, 18. März 2018

Viele Gemeinden in NRW leben über ihre Verhältnisse

Das Beispiel der Gemeinde Wachtberg zeigt die ganze Misere.


Nicht "über die Verhältnisse zu leben" heißt im Privathaushalt, mit den laufenden Einnahmen (Gehalt, Kindergeld, usw.) in der Lage zu sein, die laufenden Ausgaben (Miete, Lebensmittel, Versicherungen,...) zu stemmen.  Zur kurzfristigen Überbrückung von finanziellen Engpässen hilft ein ggf. eingeräumter Dispokredit (= genehmigte Überziehung). Der Dispo beträgt i.d.R. das 2- bis 3-fache der Höhe der monatlichen Einkünfte. Und falls Kredite aufgenommen wurden, muss am Ende noch so viel übrig bleiben, dass der Schuldendienst für die aufgenommenen Kredite beglichen werden kann.

Problematisch wird es für diejenigen Verbraucher, die den Dispo nicht nur für kurzfristige Kontoüberziehungen nutzen, sondern die schlicht ihren laufenden Lebensunterhalt auf den Dispo abstellen, sprich ihr Konto zwei Drittel des Jahres oder mehr überziehen, ggf. sogar über den Dispo hinaus (= nicht geduldete Überziehung).

Die Folgen: Immer mehr und höhere Zinsen sowie drohende Kündigung des Kontos. Viele suchen dann ihr Heil in der Umschuldung in Raten- oder Rahmenkredite - und tappen schwuppdiwupp in die Schuldenfalle (Banken-intern Kreditspirale genannt), denn Dispo-, Privat- und/ oder Rahmenkredite lösen nicht das Grundproblem dieser Verbraucher: sie leben über ihre Verhältnisse.

Gerade und insbesondere von einer Gemeinde muss erwartet werden können, dass sie nicht über ihre Verhältnisse lebt, schließlich finanzieren wir alle mit unseren Steuern und Gebühren den laufenden Lebensunterhalt der Gemeinde.

Die Gemeinde muss also mit diesen Einnahmen ihren laufenden Lebensunterhalt, d.h. die laufende Verwaltungstätigkeit gestemmt bekommen.

§ 75 "Allgemeine Haushaltsgrundsätze" Absatz 1 Gemeindeordnung (GO) NRW bestimmt:
"Die Gemeinde hat ihre Haushaltswirtschaft so zu planen und zu führen, dass die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist.  Die Haushaltswirtschaft ist wirtschaftlich, effizient und sparsam zu führen. Dabei ist den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen."

Wird diese Erwartungshaltung von den Gemeinden in NRW erfüllt?

Schauen wir uns das am Beispiel der Jahresabschlüsse 2007 bis 2015 bzw. des Haushaltsplanentwurfs 2018 der Gemeinde Wachtberg an. Du findest die Jahresabschlüsse, in dem Du bei Google nach "Jahresabschluss 2007 Wachtberg", "Jahresabschluss 2008 Wachtberg", etc. suchst. Den Haushaltsplanentwurf 2018 (Stand 17.03.18) findest Du hier:  http://wachtberg.de/cms127/s/a/hh/

Zunächst schauen wir uns in den Finanzrechnungen die Ein- und Auszahlungen sowie den Saldo (= Cash Flow) aus laufender Verwaltungstätigkeit an:

Stichtag/
Haushaltsjahr
EinzahlungenAuszahlungenSaldo (Cash Flow)Saldo, kumuliert
31.12.200721.741.966 €21.402.521 €339.446 €339.446 €
31.12.200824.931.847 €23.716.790 €1.215.057 €1.554.503 €
31.12.200923.831.313 €25.231.855 €-1.400.542 €153.961 €
31.12.201024.927.873 €25.954.183 €-1.026.310 €-872.350 €
31.12.201126.050.528 €26.297.053 €-246.525 €-1.118.875 €
31.12.201227.129.123 €27.330.348 €-201.225 €-1.320.100 €
31.12.201325.369.434 €27.508.044 €-2.138.610 €-3.458.710 €
31.12.201427.412.189 €28.116.451 €-704.262 €-4.162.971 €
31.12.201529.955.019 €30.011.508 €-56.489 €-4.219.460 €
201631.777.229 €33.336.600 €-1.559.371 €-5.778.831 €
201734.066.267 €34.907.273 €-841.006 €-6.619.837 €
201834.622.393 €34.972.162 €-349.769 €-6.969.606 €
201935.343.726 €36.225.091 €-881.365 €-7.850.971 €
202036.292.188 €36.255.143 €37.045 €-7.813.926 €
202137.430.285 €36.856.126 €574.159 €-7.239.767 €

Wenn Du im Privathaushalt permanent mehr ausgibst als Du einnimmst, dann rutscht Dein Konto ständig ins Minus - Du lebst über Deine Verhältnisse.

Genau das passiert in der Gemeinde Wachtberg. Von 2009 bis 2019 sind die Auszahlungen aus der laufenden Verwaltungstätigkeit (z.B. für Personal, Sach- und Dienstleistungen, Zinsen) höher als die Einnahmen.

Die Gemeinde bezahlt also ihren laufenden Lebensunterhalt durch dauerhafte Überziehung. Die Spalte "Saldo, kumuliert" zeigt, dass sich die Überziehungen bis zum Planjahr 2021 vermutlich auf einen Betrag i.H.v. rd. -7,2 Mio. € aufsummieren werden!

In den Finanzrechnungen und Finanzplänen wird diese doch erhebliche Überziehung allerdings durch bestimmte Effekte kaschiert.

Schauen wir uns das einmal am Beispiel der Finanzrechnung 2013 an:

ZeileFinanzplan2013
1Einzahlungen lfd. Verwaltungstätigkeit25.369.434 €
2Auszahlungen lfd. Verwaltungstätigkeit27.508.044 €
3davon Zinsen/ sonst- Fin.Auszahlungen738.136 €
4Saldo lfd. Verwaltungstätigkeit (Cash Flow)-2.138.610 €
5Einzahlungen aus Investitionstätigkeit2.408.390 €
6Auszahlungen aus Investitionstätigkeit1.641.651 €
7Saldo Investitionstätigkeit766.739 €
8Saldo (4 und 7)-1.371.871 €
9Aufnahme/ Rückflüsse von Darlehen0 €
10Tilgung/ Gewährung von Darlehen571.064 €
11Aufnahme von Kassenkrediten45.531.918 €
12Tilgung von Kassenkrediten46.734.443 €
13Saldo Finanzierungstätigkeit (9-10+11-12)-1.773.589 €
14Änderung Bestand eigene Finanzmittel (8 und 13)-3.145.460 €
15Anfangsbestand eigene Finanzmittel57.905 €
16Bestand an fremden Finanzmitteln3.143.787 €
17Liquide Mittel (14 + 15 + 16)56.231 €

Von oben nach unten gelesen:
  • Der Saldo aus der laufenden Verwaltungstätigkeit beträgt -2.138.610 € (Zeile 4).
  • Das Minus verbessert sich durch Investitionstätigkeiten auf -1.371.871 € (Zeile 8), weil die Gemeinde in 2013 höhere Einzahlungen aus Investitionstätigkeit (z.B. Fördermittel) hatte als Auszahlungen aus Investitionstätigkeit (z.B. Auszahlungen für den Bau eines Gebäudes).
  • Das Minus verschlechtert sich wieder durch Finanzierungstätigkeiten auf -3.145.460 € (Zeile 14), weil die Gemeinde mehr Darlehen getilgt hat als sie an Darlehen aufgenommen hat.
  • Durch einen Anfangsbestand i.H.v. 56.231 € (Zeile 15) und den Bestand an fremden Finanzmitteln i.H.v. 3.143.787 € (Zeile 16) kommt für 2013 ein Plus an liquiden Mitteln i.H.v. 56.231 € heraus.

Die Handreichung zum NKF schreibt bzgl. § 16 "Fremde Finanzmittel" der Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) u.a.:
"Die der Gemeinde von Dritten zur Verfügung gestellten Finanzmittel ("Fremde Finanzmittel") sind in die gemeindliche Finanzrechnung gesondert aufzunehmen, soweit sie sich noch im Verfügungsbereich der Gemeinde befinden, z.B. als liquide Mittel auf den gemeindlichen Bankkonten. 

Dieser gesonderte Nachweis ist sachgerecht und erforderlich, da die gemeindliche
Finanzrechnung den Gesamtbestand der verfügbaren Finanzmittel der Gemeinde zum Abschlussstichtag sowie die Veränderungen der gemeindlichen Finanzmittel im abgelaufenen Haushaltsjahr aufzeigen muss.
Das Ergebnis aus der gemeindlichen Finanzrechnung fließt in der gemeindlichen Bilanz in den gesonderten Vermögensposten "Liquide Mittel" auf der Aktivseite der Bilanz ein. 

In den Fällen, in denen die Gemeinde am Abschlussstichtag noch über fremde Finanzmittel verfügt, sollten diese im Anhang im gemeindlichen Jahresabschluss gesondert zu den sonstigen vorhandenen liquiden Mitteln der Gemeinde aufgezeigt werden. Durch eine solche Trennung der fremden Finanzmittel von den eigenen gemeindlichen Finanzmitteln werden die notwendigen Informationen über die gemeindliche Liquidität verbessert."

Entscheidend für die gemeindliche Liquidität ist also Zeile 14 in der obigen Tabelle, also ein Liquiditätsdefizit i.H.v. -3.145.460 €.

Kassenkredite

Wie im Privathaushalt muss auch eine Gemeinde kurzfristige finanzielle Engpässe überbrücken können, um ihre Liquidität sicherstellen zu können.
Was für den Privathaushalt der Dispokredit ist, ist für die Gemeinde der so genannte Kassenkredit.

Werfen wir einen Blick auf die Entwicklung der Kassenkredite der Gemeinde Wachtberg:

Stich-tagAufnahme von KassenkreditenTilgung von KassenkreditenBemerkungBestand Kassenkredite
01.01.200710.650.713 €
31.12.200716.306.583 €18.572.458 €mehr getilgt als aufgenommen8.384.839 €
31.12.200821.181.665 €20.018.523 €mehr aufgenommen als getilgt9.547.982 €
31.12.20096.632.433 €6.221.665 €mehr aufgenommen als getilgt9.958.750 €
31.12.201016.181.087 €16.299.114 €mehr getilgt als aufgenommen9.840.723 €
31.12.201127.685.372 €26.419.789 €mehr aufgenommen als getilgt11.106.305 €
31.12.201220.368.281 €19.359.261 €mehr aufgenommen als getilgt12.115.325 €
31.12.201345.531.918 €46.734.443 €mehr getilgt als aufgenommen10.912.800 €
31.12.201423.028.985 €23.717.582 €mehr getilgt als aufgenommen10.224.202 €
31.12.201530.814.679 €28.187.957 €mehr aufgenommen als getilgt12.850.924 €
31.12.201614.601.000 €
31.12.201716.000.000 €
31.12.201816.000.000 €

Bereits in der Eröffnungsbilanz der Gemeinde Wachtberg zum 01.01.2007 wurde ein Bestand an Kassenkrediten (siehe Passivseite, Punkt 4.2 Verbindlichkeiten aus Krediten zur Liquiditätssicherung) i.H.v. 10.650.713 € ausgewiesen.
Um es nochmals zu sagen: Kassenkredite dienen der kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsengpässen im Haushaltsjahr.

Lesebeispiel 1:
Im Haushaltsjahr 2007 (Stichtag 31.12.2007) wurden mehr Kassenkredite getilgt (18.572.458 €) als Kassenkredite aufgenommen wurden (16.306.583 €). Bezogen auf den Bestand am 01.01.2007 konnte der Bestand an Kassenkrediten auf 8.384.839 € reduziert werden.

Lesebeispiel 2:
Im Haushaltsjahr 2008 (Stichtag 31.12.2008) wurden mehr Kassenkredite aufgenommen (21.181.665 €) als Kassenkredite getilgt wurden (20.018.523 €). Somit hat sich der Bestand an Kassenkrediten zum 31.12.2008 auf 9.547.982 € erhöht.

Wie die Spalte "Bestand Kassenkredite" zeigt, muss die Gemeinde immer mehr Kassenkredite aufnehmen, um die Liquiditätsdefizite ausgleichen zu können. Für 2018 ist ein Bestand an Kassenkrediten i.H.v. 16 Mio. € geplant.

Und im Entwurf der Haushaltssatzung soll sogar der Höchstbetrag der Kredite, die zur Liquiditätssicherung in Anspruch genommen werden dürfen, auf 25 Mio. € erhöht werden.

Von "kurzfristiger Überbrückung von Liquiditätsengpässen" kann wohl kaum noch die Rede sein.

Ein Privathaushalt wäre schon längst gegen die Wand gefahren. Zur Erinnerung: ein Dispokredit beträgt i.d.R. das 2- bis 3-fache der Höhe der monatlichen Einkünfte. Bezogen auf die geplanten Einnahmen der Gemeinde Wachtberg in 2018 i.H.v. 34,6 Mio. € wären das 5,8 bis 8,6 Mio. € an möglichem Dispokredit, sprich Kassenkrediten. Für eine Gemeinde gibt es eine solche Deckelung nicht. Sie kann auf Beschluss der Ratsmitglieder immer höhere Kassenkredite aufnehmen! Und die Bank hätte beim Privathaushalt auf Grund der permanenten Überziehung schon längst an die Tür geklopft, um die persönliche Situation mit dem Kontoinhaber zu besprechen...

Auch dieser Beitrag zeigt, dass das NKF-Ziel "Intergenerative Gerechtigkeit" gescheitert ist. Lasten und Schulden der Gemeinde werden den Kindern und Enkelkindern aufgebürdet.

Der Appell an die Ratsmitglieder kann daher nur lauten:

Sorgt sofort dafür, dass die Gemeinde nicht länger über ihre Verhältnisse lebt. Werdet Eurer Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und deren Kindern und Enkelkindern gerecht. Und schlagt Euch das mit der geplanten Erhöhung der Grundsteuer B aus dem Kopf! 10 Jahre finanzielles Missmanagement kann und darf nicht auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger ausgetragen werden.

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