Donnerstag, 15. März 2018

Irrtümer aus dem NKF

Die Allgemeine Rücklage ist Geld.
Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten können erwirtschaftet werden.
Der kommunale Haushalt ist generationengerecht.


Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den oben genannten Irrtümern aus dem Neuen Kommunalen Finanzmanagement (NKF).

Die Allgemeine Rücklage ist Geld

Im Rahmen des NKF müssen die Kommunen in NRW u.a. jedes Jahr eine Bilanz erstellen. Sie müssen auf der "Aktivseite" ihr Vermögen (= Mittelverwendung) und auf der "Passivseite" die Finanzierung des Vermögens (= Mittelherkunft) durch Eigenkapital (Unterposition "Allgemeine Rücklage") bzw. Fremdkapital darstellen.

Im Zuge der NKF-Einführung mussten die Kommunen eine Eröffnungsbilanz erstellen. Sie mussten ihr bestehendes Vermögen wie z.B. Straßen, Brücken, Gebäude, Ampeln, Spielplätze in Geld bewerten und die aktuelle Höhe der Schulden (Verbindlichkeiten/ Fremdkapital) zur Finanzierung des Vermögens angeben.

Grob vereinfacht errechnete sich dann die Allgemeine Rücklage (das Eigenkapital) wie folgt:
Wenn das Vermögen der Gemeinde (Straßen, Brücken, Gebäude, Ampeln, Spielplätze, etc.) insgesamt X Euro wert ist und davon Y Euro der Bank gehören (weil über Kredite = Fremdkapital finanziert), dann ist (X-Y) Euro die Höhe des Eigenkapitals, d.h. der Allgemeinen Rücklage, z.B.
Bewertetes Vermögen:100 Mio. €
./. Fremdkapital:40 Mio. €
= Allgemeine Rücklage (Eigenkapital):60 Mio. €

Die Allgemeine Rücklage (Eigenkapital) ist also ein berechneter Wert, eine so genannte Residualgröße. Der Begriff "Rücklage" erweckt den Eindruck, hier wäre in Geld einsetzbares Eigenkapital vorhanden. Das ist falsch!
Noch viel gravierender ist, dass Reichtum vorgetäuscht wurde, wo gar keiner ist!
Die Gemeinde durfte in der Eröffnungsbilanz Vermögensgegenstände bilanzieren, die nach dem Bilanzrecht gar nicht hätten bilanziert werden dürfen.

Denn nach dem Bilanzrecht muss sichergestellt sein, dass nur solche Vermögensgegenstände bilanziert werden, die den Gläubigern als Schuldendeckungspotential dienen können. Mit anderen Worten: Es dürfen nur solche Vermögensgegenstände bilanziert werden, deren Veräußerung (z.B. durch Verkauf, Versteigerung) einem Gläubiger zur Rückzahlung von dessen Forderungen verhilft.

Selbst einem Laien sollte kar sein, dass es kommunale Vermögensgegenstände gibt, die nicht oder zumindest nur sehr schwer veräußerbar sind (z.B. Straßen, Brücken, Schulgebäude, Rathaus), ohne dabei die kommunale Aufgabenerfüllung zu beeinträchtigen. Man spricht hier vom nicht-realisierbaren Vermögen.

Schauen wir uns einmal die Sachanlagen in der Eröffnungsbilanz der Gemeinde Wachtberg zum 01.01.2007 an:

Unbebaute Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte
Grünflächen5.496.670,41 €
Ackerland942.251,75 €
Wald und Forst884.341,50 €
Sonstige unbebaute Grundstücke1.233.777,75 €
Summe:8.557041,41 €
Bebaute Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte
Kinder- und Jugendeinrichtungen2.188.831,50 €
Schulen17.117.518,50 €
Wohnbauten1.631.900,25 €
Sonstige Dienst-, Geschäfts- und Betriebsgebäude11.105.460,65 €
Summe:32.043.710,90 €
Infrastrukturvermögen
Grund und Boden des Infrastrukurvermögens14.917.835,00 €
Brücken und Tunnel1.368.396,29 €
Straßennetz mit Wegen, Plätzen und Verkehrsanlagen61.405.254,16 €
Sonstige Bauten des Infrastrukturvermögens184.071,52 €
Summe:77.875.556,97 €
Sonstiges Sachvermögen
Kunstgegenstände, Kulturdenkmäler31.178,50 €
Maschinen und technische Anlagen, Fahrzeuge670.167,69 €
Betriebs- und Geschäftsausstattung612.476,67 €
Geleistete Anzahlungen, Anlagen im Bau177.866,06 €
Summe:1.491.688,92 €

Auch dem Laien sollte sich erschließen, dass die gelb markierten Vermögensgegenstände wohl eher zum nicht-realisierbaren Vermögen zählen.

So aber führte die Berücksichtigung/ Bilanzierung sämtlicher Vermögensgegenstände der Gemeinde Wachtberg zu einer Allgemeinen Rücklage (Eigenkapital) i.H.v. rd. 81,4 Mio. € wie der Blick auf die Passivseite der Eröffnungsbilanz zeigt.

Ein "Reichtum", mit dem in der Folge hohe Fehlbeträge in der Ergebnisrechnung ausgeglichen werden konnten, ohne dass die "magische" 5%-Grenze zur Haushaltssicherung überschritten wurde.
Ein Fehlbetrag ist "unkritisch", solange er kleiner als fünf Prozent der Allgemeinen Rücklage ist. Also gilt: Je höher die Allgemeine Rücklage, desto höher kann der Fehlbetrag sein.

Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten können erwirtschaftet werden

Wenn ein Unternehmer 1.000.000 € in die Anschaffung einer Maschine zur Produktion von Waren investiert, muss er die Maschine über die Nutzungsdauer abschreiben. Bei einer Nutzungsdauer von 10 Jahren wären das in unserem Beispiel 100.000 € pro Jahr. Die 100.000 € werden als Betriebsausgaben in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) erfasst. Da der Unternehmer mit der Maschine Geld verdienen will, wird er die Abschreibung - neben anderen Kosten für Erhaltung und Betrieb der Maschine (Folgekosten) sowie etwaiger Kreditzinsen - anteilig in den Verkaufspreis der produzierten Ware "einpreisen". Die Verkaufserlöse werden als Betriebseinnahmen in der GuV erfasst. Unter dem Strich wird die GuV im Idealfall einen Gewinn ausweisen. Der Unternehmen hat also die Möglichkeit, die Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten zu erwirtschaften - um z.B. in 10 Jahren eine neue Maschine anschaffen zu können.

Wie sieht das in einer Gemeinde aus?

Wenn eine Gemeinde 1.000.000 € in die energetische Sanierung einer Grundschule investiert, muss auch die Gemeinde die Anschaffungs- und Herstellungskosten abschreiben. Die Gemeinde muss dazu in der entsprechenden Teilergebnisrechnung die "bilanziellen Abschreibungen" als Aufwendungen erfassen. Weiterhin muss sie in der Teilergebnisrechnung die Kosten für den Unterhalt und den Betrieb (Folgekosten) und etwaige Kreditzinsen als Aufwendungen erfassen.

Und wie sieht es auf der Ertragsseite der Teilergebnisrechnung aus? Im Gegensatz zum Unternehmer kann die Gemeinde die Abschreibung, die Kreditzinsen und die Folgekosten für die energetisch sanierte Grundschule nicht anteilig in öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Leistungsentgelte der Teilergebnisrechnung "einpreisen", sprich Gebühren oder Eintrittsgelder erhöhen, denn in Deutschland sind für den Besuch öffentlicher Schulen keine Gebühren respektive Eintrittsgelder zu entrichten.

Das Beispiel lässt sich auf Feuerwehrwachen, Wege, Plätze, etc. übertragen und belegt:

Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten können von einer Gemeinde in vielen Fällen nicht in Geld erwirtschaftet werden.

Mehr noch: Immer mehr Investitionen "verschlechtern" die Teilergebnisrechnungen und können zu einem nicht ausgeglichenen Haushalt führen.

Abschreibungen, Kreditzinsen und Folgekosten sind "ergebniswirksam": jeder Euro mehr auf der Aufwandsseite führt bei unveränderter Ertragsseite zu einer Verringerung des Jahresergebnisses - und führt im ungünstigsten Fall zu einem Fehlbetrag.  Und in vielen Kommunen schließt die Gesamtergebnisrechnung bereits heute mit einem Fehlbetrag ab, d.h. der Haushalt ist nicht ausgeglichen.

Und was macht dann die Gemeinde, um den geforderten Haushaltsausgleich zu schaffen?
Sie nutzt die vom Gesetzgeber gegebene Möglichkeit und mindert die Allgemeine Rücklage, sprich das Eigenkapital... Null problemo, siehe oben!

Kommunale Haushalte sind generationengerecht

Das NKF wurde u.a. mit Ziel der "intergenerativen Gerechtigkeit" eingeführt, d.h. der kommunale Haushalt soll nur das verbrauchen (= Aufwendungen), was er auch erwirtschaftet (= Erträge). Der Wertverlust des kommunalen Vermögens und künftige finanzielle Belastungen sollen systematisch und vorsorglich erwirtschaft werden. Die gesamte Haushaltspolitik soll also darauf ausgerichtet sein, dass eine Gemeinde nicht auf Kosten künftiger Generationen lebt.
Ein hehres Ziel!

Und wie sieht die Realität aus?

Schauen wir uns das einmal - stellvertretend für viele NRW-Kommunen - am Beispiel der Haushalte 2007-2017 der Gemeinde Wachtberg (rd. 20.000 Einwohner) an.

Folgende Datenquellen wurden genutzt:
Für die Erläuterungen der Begriffe wie "Jahresergebnis", "Finanzrechnung"/ "Liquide Mittel" und "Allgemeine Rücklage", siehe Blog-Beitrag "Kommunale Haushalte verstehen - ein nicht einfaches Unterfangen".


Haushalts-
jahr
Jahres-
ergebnis
Liquide MittelAllgemeine
Rücklage
Ausgleichs-
rücklage
2007-1.270.990 €182.348 €84.997.000 €5.137.000 €
2008-1.390.383 €2.820.122 €85.174.000 €3.866.000 €
2009-3.313.903 €689.623 €84.927.000 €2.476.000 €
2010-3.054.687 €138.645 €83.971.000 €0 €
2011-3.021.866 €1.226.420 €80.916.484 €0 €
2012-2.577.772 €-57.905 €78.079.040 €0 €
2013-3.583.672 €-56.231 €75.629.775 €0 €
2014-3.167.178 €-200.140 €72.765.675 €0 €
2015-2.333.026 €-838.527 €69.691.446 €0 €
2016-3.860.245 €-1.894.674 €67.324.547 €
2017-2.576.643 €-1.421.029 €63.464.302 €

Die Spalte "Jahresergebnis" zeigt sehr deutlich, dass die Gemeinde in keinem Jahr eine "schwarze Null" respektive einen Überschuss erzielen konnte, d.h. in jedem Haushaltsjahr übersteigen die Aufwendungen die Erträge. Die Gemeinde verbraucht also jedes Jahr mehr als sie erwirtschaftet.

Und wie sieht es mit dem Vermögen aus? Tja, das schmilzt rapide dahin, da die Gemeinde Jahr für Jahr die Allgemeine Rücklage mindert, um den vom Gesetzgeber geforderten Haushaltsausgleich erfüllen zu können (siehe oben - null problemo).

Auch die Liquidität der Gemeinde kennt nur eine Richtung - nämlich nach unten. Ab 2012 ist die Summe der Auszahlungen zunehmend höher als die Summe der Einzahlungen. Wir reden hier von realem Geld, d.h. der Gemeinde fehlt Geld. Und wie kommt sie an Geld? Schließlich muss sie alle offenen Rechnungen bezahlen.

Werfen wir dazu einen Blick auf die Entwicklung der Schulden:


Haushalts-
jahr
Allgemeine RücklageFremdkapitaldavon Kassenkredite
200784.997.000 €26.880.000 €2.943.000 €
200885.174.000 €23.422.000 €3.200.000 €
200984.927.000 €24.040.000 €10.836.000 €
201083.971.000 €25.296.000 €9.819.000 €
201180.916.484 €26.776.000 €10.763.000 €
201278.079.040 €27.876.000 €13.181.000 €
201375.629.775 €25.769.000 €11.062.000 €
201472.765.675 €24.958.000 €10.373.000 €
201569.691.446 €28.144.000 €13.000.000 €
201667.324.547 €29.522.000 €14.601.000 €
201763.464.302 €31.158.000 €16.000.000 €

Die Gemeinde benötigt immer mehr Fremdkapital. Besonders ins Auge sticht dabei, dass die so genannten Kassenkredite - also die Kredite zur Liquiditätssicherung - (entspricht in etwa dem Dispo im Privathaushalt) immer weiter steigen, von 2,9 Mio. € in 2007 auf 16 Mio. € in 2017.

Mit intergenerativer Gerechtigkeit hat das alles nichts zu tun! Im Gegenteil!
Ziel verfehlt. Note 6 - setzen!

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